- Sozialvorschriften für das Fahrpersonal im Straßenverkehr: Rückkehrrecht des Fahrpersonals an den Wohnsitz oder an die Betriebsstätte des Arbeitgebers.
Diese neue Regelung des Rückkehrrechts wurde nach langer und intensiver politischer Diskussion beschlossen. Sie hat in der Praxis jedoch nicht nur Klarheiten, sondern auch viele Unklarheiten geschaffen, obwohl es nach dem Willen der EU-Kommission (eigentlich) wichtig war, dass die Sozialvorschriften der Union im Straßenverkehr klar, verhältnismäßig, zweckdienlich und in wirksamer und kohärenter Weise in der gesamten Union leicht anzuwenden, durchzusetzen und umzusetzen sind – so Erwägungsgrund Nr. 1 der neuen Verordnung (EU) Nr. 2020/1054.
Auszug aus dem neuen Artikel 8 Absatz 8a der VO (EG) Nr. 561/2006
„Verkehrsunternehmen planen die Arbeit der Fahrer so, dass jeder Fahrer in der Lage ist, innerhalb jedes Zeitraums von vier aufeinanderfolgenden Wochen zu der im Mitgliedstaat der Niederlassung des Arbeitgebers gelegenen Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Fahrer normalerweise zugeordnet ist und an der er seine wöchentliche Ruhezeit beginnt, oder zu seinem Wohnsitz zurückzukehren, um dort mindestens eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit oder eine wöchentliche Ruhezeit von mehr als 45 Stunden als Ausgleich für eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit zu verbringen.“
Das Rückkehrrecht stellt im Kern darauf ab, die Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals und den Gesundheitsschutz im Straßenverkehr zu verbessern, indem vermieden wird, dass das Fahrpersonal übermäßig lange Zeiten auf der Straße verbringt. Vorangestellt wird somit die Verpflichtung des Transportunternehmers, die Einsatzzeiten des Fahrpersonals so zu planen, damit sie die regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten oder auch eine längere Ruhezeit am Wohnort oder am Betriebsstandort rechtzeitig wahrnehmen können.
Freie Wahl des Orts durch das Fahrpersonal
Das Fahrpersonal kann aber nach dem Erwägungsgrund Nr. 14 der VO (EU) Nr. 2020/1054 frei wählen, an welchem Ort es die wöchentlichen Ruhezeiten tatsächlich verbringen möchte. Somit ist der Fahrer nicht verpflichtet, die Betriebsstätte des Arbeitgebers oder seinen Wohnsitz als Rückkehrort zu wählen.
Organisation der Rückkehrmöglichkeit durch den Arbeitgeber
Unabhängig von der freien Wählbarkeit des Rückkehrorts muss aber der vorgegebene Zeitraum für die Rückkehr zur Verbringung der festgelegten Ruhezeiten von vier aufeinanderfolgenden Wochen (jede Kombination von vier zusammenhängenden Kalenderwochen) zwingend eingehalten werden, was insbesondere zu besseren Arbeitsbedingungen für das Fahrpersonal führen soll. Die Organisation der Rückkehrmöglichkeit zur Wahrnehmung der notwendigen Ruhezeiten hat, wie bereits erwähnt, der Arbeitgeber zu veranlassen.
Dokumentation durch das Transportunternehmen
Das Angebot der Rückkehrmöglichkeit einschließlich der Verpflichtung zur Einlegung der Ruhezeit im Sinne des neu eingefügten Absatz 8a des Artikel 8 der VO (EG) Nr. 561/2006 hat das Transportunternehmen, z.B. durch Fahrtenschreiberaufzeichnungen, Arbeitszeit- oder Dienstpläne des Fahrpersonals nachzuweisen. Das Unternehmen dokumentiert, wie es diese Verpflichtung erfüllt – und es bewahrt die betreffenden Unterlagen in seinen Geschäftsräumen auf, damit sie auf Verlangen der Kontrollbehörden vorgelegt werden können.
Der Fahrer muss keine Nachweise mitführen, wie und wo er die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit oder eine längere Ruhezeit verbracht hat. Nach einer Straßenkontrolle könnten die Kontrollbehörden beispielsweise beschließen, bei den Behörden des Mitgliedstaats, in dem das Transportunternehmen ansässig ist, zusätzliche Informationen über die Tätigkeit eines Fahrers anzufordern. Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und die Richtlinie 2006/22/EG sehen vor, dass sich die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Anwendung der Verordnung und bei der Überprüfung ihrer Einhaltung unterstützen.
Die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine regelmäßige Rückkehr eines Fahrers zu ermöglichen, ist organisatorischer Natur, verbunden mit der Verpflichtung, entsprechende Aufzeichnungen bzw. Dokumentationen für Kontrollen durch die zuständigen Behörden zu führen. Daher wäre eine von einem Fahrer unterzeichnete Erklärung auf einen Verzicht seines Wahlrechts (z.B. im Rahmen eines Arbeitsvertrags oder eine im Voraus auf das Rückkehrrecht verzichtende Erklärung), d.h. bevor der Fahrer einen Auftrag vom Arbeitgeber erhält, nach erster Einschätzung der Unterzeichner nicht in Ordnung.
Offen bleibt jedoch eine europäische Klarstellung, wie die Fahrer, die von den Transportunternehmen im gesamten europäischen Raum eingesetzt werden, zu der arbeitsvertraglichen Betriebsstätte des polnischen oder rumänischen Transportunternehmens zurückkommen, der sie normalerweise zugeordnet sind oder ihrem Wohnsitz.
Fazit:
Die Ziele der Kommission sind unstrittig. Leider müssen jedoch die Betroffenen und Anwender momentan (bis es zu Klarstellungen bzw. obergerichtlichen Entscheidungen kommt) mit den derzeitigen Unklarheiten und handwerklich nicht gut gelungenen Regelungen leben. Deshalb hätte im Vorfeld der EU-Verhandlungen – zumindest ansatzweise – ein stärkerer internationaler Austausch mit kompetenten Fachleuten erfolgen sollen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass nunmehr die Möglichkeit geschaffen wurde, dem „Sozialdumping“ und den seit Jahren von der EU geforderten Wettbewerbsbedingungen im Straßenverkehrsgewerbe, – durch die Rückkehrmöglichkeit (unter Einhaltung der wöchentlichen Ruhezeiten) nach Artikel 8 Absatz 8a der VO (EG) Nr. 561/2006 – entgegenzuwirken. Deshalb entbindet auch ein „genereller“ Verzicht des Fahrpersonals den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung, eine mit dem Fahrpersonal abgestimmte echte Rückkehrmöglichkeit an seinen Wohnsitz oder an der Betriebsstätte, anzubieten.
Letzten Endes wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die verbindliche Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden haben.
Quellennachweis:
- VO (EU) Nr. 2020/1054
- VO (EG) Nr. 561/2006
- Fragen und Antwortkatalog (Entwurf) der Kommission vom 3. November 2020
Autoren: Willy Dittmann / Jörg Eiden